Günter Netzer

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Begegnungen

Das Interview mit Günter Netzer in Berlin, war für mich eines der größten Erlebnisse ! Mit weiteren 6 Leuten durfte ich am 21.05.2008, Günter Netzer, Europameister 1972, Weltmeister 1974 auf dem Energiehaus in Berlin befragen. Vorausgegangen war ein Aufruf der Bild am Sonntag, für das EM-Forum 2008. "Wer hat die interessantesten Fragen an Günter Netzer ?" 1000 Bewerbungen mußten vom Axel Springer Verlag bearbeitet werden.

Nach dem Interview nahm sich Günter Netzer für uns noch Zeit, um ein paar persönliche Worte zu wechseln. Von meinem Trikot war er sehr angetan.

Vor ungefähr 50 ausgesuchten Gästen, stellten wir unsere Fragen an Günter Netzer. 3 Filmkameras und unzählige Fotographen sorgten bei uns für Lampenfieber.

Hier das Interview !

 

Günter Netzer beim BamS EM Forum „Ich traue Deutschland den großen Schlag zu“

24.05.2008

 

Marcel Wedow (38, Industriemechaniker aus Tabarz in Thüringen): Wie bereiten Sie sich auf die EM vor? Als ARD-Experte müssen Sie ja alle Mannschaften und deren Spielweisen kennen.

Günter Netzer (63, lacht): Ich bereite mich überhaupt nicht vor – so wie immer! Ich erwarte von meinem Partner Gerhard Delling, dass er sich gefälligst vorbereitet! Nein, im Ernst: Ich bin nach wie vor ein großer Fußball-Fan und schaue viele, viele Spiele im Laufe eines Jahres. Das muss reichen. Der Erfolg meiner Arbeit liegt darin, dass ich eine Sprache spreche, die die Leute verstehen. Und komischerweise kriege ich die größten Komplimente von Frauen. Weil sie sagen: Wir verstehen den Netzer! Was kann es Schöneres für mich geben?

Conny Peipelmann (50, Konstrukteurin aus Offstein): Von welcher Mannschaft erwarten Sie bei der EM den schönsten Fußball? Und haben Sie einen Lieblingsspieler?

Günter Netzer : Das ist immer so eine Sache, denn schöner Fußball muss auch erfolgreich sein. Sonst ist es brotlose Kunst. Ich denke an Portugal, Frankreich. Und bei den Spielern bin ich natürlich bei Cristiano Ronaldo, er hat sich enorm entwickelt, weil er jetzt effektiv spielt. Er ist offenbar in der Form seines Lebens.

Werner Waschk (63, Verwaltungsleiter einer Realschule aus Herten): Wie groß sehen Sie die Chancen, dass Deutschland trotz Konkurrenten wie Italien, Frankreich oder Portugal Europameister wird?

Netzer: Im Gegensatz zu Italien ist die deutsche Elf noch im Wachstum begriffen. Aber unter Jogi Löw hat die Mannschaft noch mal eine Entwicklung gemacht, die Basis ist verbreitert worden. Nein, die deutsche Elf hat eine Chance auf den Titel, sie gehört zu den Favoriten. Ich traue ihr den großen Schlag zu.

Kerstin Strahl (48, Lehrerin aus Halle an der Saale): Wäre der junge Günter Netzer heute Stammspieler in der Löw-Elf?

Netzer: Ganz sicher! Ich hätte mich den heutigen Bedingungen angepasst. Wir waren damals große Talente, die direkt von der Straße kamen. Wenn wir unter den heutigen Trainingsbedingungen arbeiten würden, wären wir auch Nationalspieler.

Uwe Grobecker (51, Beamter aus Wuppertal): Glauben Sie, dass sich Trainer oder Spieler durch Ihre Analysen veranlasst sehen, etwas am Spiel oder der Taktik zu ändern?

 

Netzer: Da wären sie aber ganz schlecht beraten! Ich bin nie Trainer geworden, weil ich nie diese Fähigkeiten hatte, ich könnte eine Elf nicht systematisch auf ihre Aufgaben vorbereiten. Aber ich habe einen Blick für Gutes und Schlechtes im Fußball – und das kann ich rhetorisch rüberbringen.

Martina Dopheide (29, Psychologie-Studentin aus Berlin): Sie haben 1972 beim Wembley-Sieg der deutschen Mannschaft Ihren Elfmeter nur knapp verwandelt. Gab es damals schon so etwas wie eine Datenbank, woraus Sie ersehen konnten, in welche Ecke der Torwart fliegt?

BamS EM Forum „Netzer war so locker und persönlich“

Netzer: Nein, so etwas gab es nicht. Aber ich weiß noch, dass Gerd Müller damals als Elfmeterschütze vorgesehen war – aber er war plötzlich nicht mehr zu finden. Also musste ich ran. Der Ball blieb ja 10 Zentimeter hinter der Linie liegen. Aber in diesem Spiel hatte ich so viel Glück, da klappte einfach alles.

Werner Waschk: Haben Sie auch das Gefühl, dass bei vielen Spielern das Gehalt und das Können nicht im richtigen Verhältnis stehen?

Netzer: Da haben Sie recht, das ist ein Grundsatzproblem des Fußballs geworden. Ich habe nichts dagegen, dass Super-Stars sehr viel Geld verdienen. Weil sie dafür sorgen, dass im Stadion etwas Besonderes passiert. Das Problem ist die Mittelmäßigkeit. Solche Spieler verdienen trotzdem so viel, dass es die Vereine fast gar nicht mehr verkraften können. Das ist eine gefährliche Entwicklung.

Conny Peipelmann: Ich habe oft das Gefühl, dass viele Fußballer nur noch für den Geldbeutel spielen? Ist das wirklich so?

Netzer: Ich würde das nicht grundsätzlich so sehen, es ist immer noch viel Herz dabei. Schauen Sie sich die Nationalelf an, dort wird wieder mit Herzblut gespielt. Aber das Geld hat schon eine überragende Bedeutung erhalten.

Kerstin Strahl: Sie haben mal gesagt, dass es in Deutschland zu wenig Super-Stars gibt. Aber wie wird man heute Super-Star und wen sehen Sie bei der deutschen Mannschaft als Führungsspieler?

Netzer: Das ist Michael Ballack, der sich bei Chelsea gut entwickelt hat. Ihm tut dieser Auslandsaufenthalt sehr gut. Aber im Verhältnis zu früheren Jahren haben wir zu wenig Persönlichkeiten. Vielleicht wird das nicht mehr so gewünscht. Früher gab es Spieler, die sich einfach vorgedrängt haben, die sich dazu befähigt fühlten. Das fehlt uns!

Marcel Wedow: Wenn Sie es sich aussuchen dürften: Würden Sie lieber in der heutigen Zeit als Fußball-Profi spielen oder doch in den 70er-Jahren?

Netzer: Schöne Frage: Ich möchte am liebsten in der Zeit von damals spielen und das Geld von heute kassieren!

Martina Dopheide: Wie lange wollen Sie noch als Experte bei der ARD arbeiten?

Netzer: Ich habe in meinem Leben nie längerfristige Pläne gemacht. Ich habe jetzt einen Vertrag bei der ARD bis 2010. Dann bin ich 65 und dann wird es auch Zeit, dass es mal ein anderer macht. Für mich ist wichtig, dass ich weiter eine Akzeptanz bei den Menschen habe, das hat mir die Verlängerung bis 2010 leicht gemacht. Aber es macht mir nach wie vor viel Spaß. Und ich habe noch immer Respekt vor dem Medium Fernsehen, es ist noch immer mit Anspannung verbunden – das ist ein gutes Zeichen.

Martina Dopheide: Könnten Sie sich denn ein Leben ohne Fußball überhaupt vorstellen?

Netzer: Es wäre schlecht, wenn ich das nicht könnte! Ich habe dem Fußball vieles zu verdanken. Aber es hat bei mir immer ein Leben neben dem Fußball gegeben.

Marcel Wedow: Was ist Ihr persönliches Lebensglück?

Netzer: Ganz eindeutig meine Familie. Als meine Tochter zur Welt kam, haben viele gesagt: „Ach, die Kinder werden so schnell groß, das kriegt man gar nicht mit!“ Und da habe ich gesagt: „Nee, ich kriege das mit!“ Und bin in den ersten 18 Jahren meiner Tochter nur ein einziges Mal länger weggewesen als drei Tage. Ich habe meine Tochter groß werden sehen. Das war das pure Glück meines Lebens.

BamS: Im Gegensatz zu vielen Fußballern hat Ihre Ehe gehalten. Haben Sie ein Erfolgsgeheimnis?

Netzer: Vielleicht bin ich schlauer gewesen, weil ich spät geheiratet habe. Ich habe mir eben vorher die Hörner abgestoßen, es war nichts mehr interessantes für mich. Und ich habe Prioritäten setzen können in meinem Leben – die Familie. Meine Erfolge haben mich ja nicht zu einem anderen Menschen werden lassen.

Kerstin Strahl: Kein Fußball-Fan wird vergessen, wie Sie sich 1973 im Pokalfinale gegen Köln selbst eingewechselt haben. Was ging da in Ihnen vor?

Netzer: Um es gleich vorweg zu nehmen: Ich weiß bis heute nicht, warum ich das gemacht habe. Hennes Weisweiler hatte mich draußen gelassen, die Fans tobten deshalb.

 

 „Frauen-Fußball wäre für Delling die Ideal -Lösung “

In der Halbzeit sagte er: „So, du spielst jetzt!“ Und ich sagte: „Nein, ich spiele nicht, weil ich das Spiel nicht verbessern kann.“ In der Verlängerung fiel der 20-jährige Christian Kulik fast vor meine Füße und sagte: „Ich kann nicht mehr!“

Uwe Grobecker: Und dann kam Weisweiler?

Netzer: Ach was! Ich habe mir einfach die Trainingsjacke und Hose ausgezogen, bin an der Trainerbank vorbeigelaufen und habe zu Weisweiler gerufen: „So, ich spiel dann jetzt!“ Das muss man sich mal vorstellen. Und dann treffe ich den Ball nach einem Doppelpass mit Bonhof völlig falsch, der Ball landet im Winkel, wir gewinnen! Also, bis heute kommt mir die Geschichte so kitschig vor, so unglaublich.

Kerstin Strahl: So viel Mut sollten die Spieler heute auch mal haben ...

Netzer: Ich würde es ihnen nicht raten, der Spieler würde nicht über die Kabine hinauskommen – das würde unweigerlich in einer Entlassung enden!

Marcel Wedow: Hat Jürgen Klinsmann mit seinen vielen Reformen nicht auch der Bundesliga sehr wichtige Impulse gegeben? Und wird er bei Bayern Erfolg haben?

Netzer: Klinsmann war wichtig für die Zeit beim DFB, weil er einige Dinge verändert hat, die verändert werden mussten. Bei Bayern München wird er das in der Form nicht tun müssen, weil der Verein gewachsen ist und große Persönlichkeiten in der Führung hat. Trotzdem wird er einzelne Spieler weiterentwickeln. Ob er Erfolge haben wird, steht in den Sternen. Es wird hochinteressant sein, zu beobachten, wie Bayern und Klinsmann zusammenarbeiten, besonders in Krisen-Zeiten. Bis jetzt ist Klinsmann kein Alltags-Trainer gewesen.

Conny Peipelmann: Wie hoch war Ihr erstes Gehalt als Fußball-Profi? Und was haben Sie später verdient, als Sie deutscher Nationalspieler wurden?

Netzer: Ganz genau 160 Mark, die erlaubte Grenze lag bei 400 Mark. Ich fand das beachtlich, denn wir fanden uns sehr privilegiert. Ich konnte es kaum glauben, dass mir jemand auch noch Geld dafür zahlte, dass ich mein Hobby zum Beruf gemacht habe. Mein höchstes Gehalt bei Gladbach war später 200 000 Mark. In der Nationalelf bekamen wir gar nichts, nur für den WM-Titel gab es70 000 Mark und ein VW-Cabrio – das war eine gute Sache.

Conny Peipelmann: Und was gab es später bei Real Madrid?

Netzer: Der Real-Präsident Santiago Bernabeu hat mich gefragt, was ich verdienen will. Ich sagte: 350 000 Mark! Da sagte er, dass das die halbe Mannschaft zusammen verdient. Am Ende haben wir uns auf 295 000 Mark geeinigt. Aber ich habe spaßeshalber jetzt mal ausgerechnet, was ein Beckham, Zidane, Ronaldo oder Raúl bei Real verdient haben. Mit dem Ergebnis, dass diese Spieler in zehn Tagen verdienten, was ich in einem Jahr kassiert habe! Es waren halt andere Zeiten.

Kerstin Strahl: Fühlen Sie sich noch jung genug, um Ferrari zu fahren?

Netzer: Mein Ferrari ist nicht mehr rot. Ein auf jung getrimmter Alter im roten Ferrari, der dann schon Probleme mit dem Aussteigen hat, das geht ja nicht. Jetzt fahre ich einen schwarzen Ferrari, es wirkt nach wie vor nicht peinlich. Weil man weiß, dass ich mich da nicht produzieren muss, ich fahre ihn ja schon seit jungen Jahren. Ich habe ihn nie als Statussymbol gebraucht.

Martina Dopheide: Was wird aus Gerhard Delling, wenn Sie 2010 aufhören?

Netzer (lacht laut auf): Was wird aus Delling – das ist ja eine richtige Schlagzeile! Das wird mich jedenfalls nicht veranlassen, dann noch mal weiterzumachen. Dann wird er feststellen, wie schwer es ist ohne mich. Bis jetzt bezweifelt er das nämlich noch.

Kerstin Strahl: Könnten Sie sich vorstellen, auch mal ein Frauen-Länderspiel mit Gerhard Delling zu analysieren?

Netzer: Mit Respekt, aber ganz ehrlich sage ich: Das kann ich mir nicht vorstellen! Ich habe gar nichts gegen Frauen-Fußball, dort hat sich sehr viel getan. Aber Gerhard Delling und ich haben so eine teilweise harte, kritische und direkte Sprache, Länderspiele zu analysieren. Das würde mir bei den Frauen sehr schwerfallen, dazu bin ich zu höflich.

BamS: Aber wäre das für Delling nicht die optimale Karriere-Entwicklung, nach Ihrem Rücktritt Frauen-Fußball zu moderieren?

Netzer: Das wäre für mich die Ideal-Lösung.

Uwe Grobecker: Würden Sie bei der Wette, dass Deutschland Europameister wird, als Wetteinsatz anbieten, Ihre Haare kurz schneiden zu lassen?

Netzer: Ich weiß nicht, welchen Erfolg die deutsche Elf feiern müsste, um meine Haare anzurühren. Das ist chancenlos. Nicht, weil ich meine Haare so liebe. Sie wurden ja nur lang und länger, weil ich fand, dass ich mit kurzen Haaren so bescheuert aussehe. Jetzt sind die Haare ein Markenzeichen. Nein, ohne meine langen Haare würde ich nicht mehr unter die Leute gehen. Die Deutschen müssen schon ohne meine Haare Europameister werden.

Den Abend vor dem Interview verbrachten wir im Axel-Springer Haus. Wir waren überrascht, dort den ehemaligen Manager von Bayer Leverkusen Rainer Calmund und Sportreporter Waldemar Hartmann zu treffen.

Michael Quandt, er organisierte das EM-Forum.

Rainer Calmund

Waldemar Hartmann