Pressebericht TA 10.06.2015 Uli Borowka

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Redakteur Steffen Ess berichtet / 10.06.15 / TA

Ex-Fußballprofi Uli Borowka: Ein Leben im Rausch

Gotha. In Thüringen sprach Ex-Fußball-Profi Uli Borowka über seine jahrelange Alkohol-Sucht – er hat alles verloren und alles wieder gewonnen

„Volle Pulle“: Uli Borowka liest und lobt den gastgebenden Verein „Fußballzeitreise: „Hut ab, Ihr macht die wahre, die ehrliche Arbeit“.

Gotha. Es ist kurz vor halb acht. Uli Borowka nimmt einen Schluck. Den ersten in knapp 90 Redeminuten. Wie viele der einstige Fußball-Profi wohl an einem Abend wie diesem vor 16 Jahren genommen hätte? Wasser wie am Abend auf der Gothaer Schlachthofbühne wäre es nicht gewesen.
Gegelte Haare, Dreitagebart, ernster Blick. Als „Eisenfuß“ ist er einst bezeichnet worden, als „die Axt“. Der für seine harte Abwehr bekannte Rechtsbeiner gilt gerade Anfang der 1990er-Jahre als das Raubein. Nun ist er in den 50ern. Auf der Bühne des „Londoners“ schwelgt er aber nicht in Erfolgen wie zwei deutsche Meisterschaften oder dem Europapokalsieg mit Werder Bremen. Er spricht von einer Kiste Bier, einer Flasche Whisky, einer Pulle Wodka – und von Magenbitter obendrauf. Er redet über das, was er im Schatten größter sportlicher Erfolge in sich hinein schüttet. An einem Tag. Mitunter Tag für Tag.
„Wie das geht?“, fragt er sich. „Das ist schon brutal“, antwortet er. Nicht nur die raue Stimme scheint Tagesrationen wie diesen und Schmerzmitteln für mehrere Leben ein Indiz für jahrelangen Raubbau am Körper zu sein. Das rechte Knie ist nach fast 400 Bundesligaspielen bandagiert, der Gang etwas steif. Der beim Lächeln hochgezogene rechte Mundwinkel, so wie auf vielen früheren Fotos, erinnert an den drahtigen Kerl. An jenen fast berüchtigten Verteidiger, der von Mönchengladbach nach Bremen kam, mit Werder ganz oben war und nach seinem Rauswurf 1996 ganz unten landete.

Der Ex-Profi ist zunächst in Tabarz im Fußballmuseum und in Gotha prominenter Gast des Vereins „Fußballzeitreise“. Er erzählt seine Geschichte, redet über das Gestern und das Jetzt, über sein schwer zurückerkämpftes Leben, über bittere Lehren über sein soziales Engagement heute im Kampf für Sucht-Hilfe. Er nimmt sich und 50 gespannte Zuhörer am Abend vor allem mit auf eine dunkle Zeitreise – hinein in sein tiefschwarzes Kapitel.
Allerlei Utensilien – jedes eine Geschichte für sich
„Volle Pulle“ – unter diesem Titel fasst Borowka die Aufarbeitung jener 14 Jahre in ein Buch. Es ist seit 2012 auf dem Markt. 302 Seiten reflektieren sein Doppelleben als funktionierender Profi und mit sich allein fühlender Alkoholiker. Es ist eines zwischen Höhenflug und tiefem Fall, ein Leben im Rausch, das sich der heute 53-Jährige selbst schon nehmen wollte.

Es ist ein Leben, mit dem Marcel Wedow für sich und seine Geschichte Parallelen zieht. Vor allem für seine „Fußballzeitreise“.
So nennt sich die private Fußball-Ausstellung. Auf 30 Quadratmetern in einem einstigen Stall lässt das Auge eine Vielzahl fein aufbereiteter Stücke durch die Fußballgeschichte wandern. Zeitungen, Bälle, Medaillen, Trikots und allerlei Utensilien erzählen jedes für sich eine Geschichte, die der Kurator gern wiedergibt. Beim Blick auf ausgetretene Schuhe könnte er lange und breit über Entwicklung und Patente der Schraubstollen philosophieren. Noch viel mehr könnte er erzählen, wenn er über Herkunft einiger Memorabilien spricht und die Umstände, wie sie Teil der Sammlung wurden. Ebenso darüber, wie die Zeitreise ihren Anfang genommen hat.
Ottmar Walther inspiriert Marcel Wedow dazu. Oder besser, das bewegte Leben des Weltmeisters von 1954. Es zieht den Thüringer in seinen Bann, als er sich ebenfalls am Tiefpunkt fühlt.

Er spielt für Ruhla einst in der dritten Liga, muss später wegen einer Verletzung und schweren Entzündung im Knie die Abnahme eines Beins fürchten. Nur mit Glück behält er es, kämpft lange Zeit in der Reha. Dort liest er einen Beitrag über Walther. Der wird immer wieder vom Pech eingeholt. Aus seinem Sieg gegen alle Widerstände zieht der Thüringer Mut – und aus einem späteren Treffen mit dem Weltmeister die Motivation, Erinnerungen von einst zusammenzutragen. Das Ergebnis sind zwei Räume, gefüllt bis an die Decke. „Jeder, der hier war, geht staunend raus“, ist sich auch Christina Dietzel sicher. Als Vorsitzende des gleichnamigen Vereins „Fußballzeitreise“ hat sie die Lesung auf die Beine gestellt. Stolz macht sie und auch Wedow die Bewunderung durch Borowka.

Der Besuch des in Berlin lebenden 53-Jährigen in Tabarz ist kurz, aber wie bei Stippvisiten, wie zuletzt durch Kult-Trainer Hans Meyer, sehr prägend. „Hut ab. Danach sucht der DFB in den nächsten zehn Jahren noch“, setzt Uli Borowka einen Seitenhieb.

Brutal offen, wie er in Gotha sein Leben als Adrenalin-Junkee und Alkoholiker beschreibt, so beinhart grätscht er in Richtung des Verbandes. „Ihr macht etwas für die Jugend, die wahre, die ehrliche Arbeit“, lobt er das soziale Engagement des Tabarzer Vereins, der sich mit dem Erlös aus Lesungen Nachwuchsfußball und soziale Projekte unterstützt. „Der DFB macht dies nicht“, sagt der Ex-Nationalspieler.

Lob für Thüringer Verein, Grätsche gegen den DFB
In seinen Augen pflegten die DFB-Oberen Scheinheiligkeit. Dass sie sich nicht ihrer Verantwortung annehmen, ist eine Seite. Eine andere ist, die eigene Erfahrung, in einem Teufelskreis gesteckt zu haben; stets bedacht auf Imagepflege als Raubein und hilflos ausgeliefert einem Schattendasein an der Flasche. „Alle wussten, dass der Uli Borowka ein Alkoholiker ist“, spricht der aus Menden im Sauerland stammende Kerl indirekt sein gesamtes Umfeld an. Von der Familie, die irgendwann flüchtet, überden Verband bis hin zum Verein.

Es ist 19 Jahre her, als Werder die Eskapaden zu viel werden und der Klub den Verteidiger rauswirft. Auch das jahrelange Wegsehen prangert Borowka an. Er liefert teils erschütternde Einblicke ins gnadenlose Bundesliga-Geschäft, will aber sein Buch nicht als Abrechnung verstanden wissen.

„Ich wollte mir nicht helfen lassen. Ich war selber von mir so beeindruckt. „Die komplette Überschätzung“, sagt der einst gefürchtete Verteidiger. Er möchte andeuten, was in der Gesellschaft im Argen liegt. Er will anstoßen. Er sagt, spricht sieben, acht Millionen Alkoholiker an. Tendenz steigend. Borowka ist einst einer davon. Er verträgt massig, baut den Alkohol irre schnell ab. Als das die Mediziner ihm sagen, ist er am Ende, aber in einer Klinik.

Im Heute klingt er noch immer, als hätte er nichts zu verlieren. Dabei hat der einst reiche Mann alles verloren und doch wieder alles gewonnen. Er ist trocken, sagt er stolz. Im März seien es genau 15 Jahre gewesen.

Er erzählt freimütig. „Vielleicht haben mir mein Ehrgeiz und Wille geholfen, so durchzuhalten“, sinniert er und weiß. Sein eiserner Wille hat ihn einst ins große Fußball-Geschäft gebracht, und das hat später alles genommen.

Nun hat er sich ins Leben zurückgekämpft, sagt er.
Er spielt Golf. Es ist seine Ersatzdroge, gesteht Borowka. Es ist ein anderes Leben; ein zufriedeneres, eines „mit viel weniger Geld, aber mit viel mehr Lebensqualität“. „Ein Leben, in dem das Glas halbvoll und nicht halbleer ist und ich es trotzdem nicht austrinken werde“, schließt der gezeichnete, aber mit sich im Reinen scheinende Mann.

Es ist kurz nach dreiviertel acht. Er nimmt einen weiteren Schluck. Den zweiten. Das Wasser bleibt halbvoll zurück.

Uli Borowka über ...
Alkoholismus

„Eigentlich ist es eine anerkannte Krankheit. Nur wenn du sie hast, ist es scheiße.“

den DFB

„Ich habe das Gefühl, der DFB nimmt in Kauf, dass alle paar Jahre ein Profi überm Lattenzaun hängt.“

sich

„Ich war ein Adrenalin-Junkee. Ich habe mir nichts sagen lassen.“

raue Sitten

„Da habe ich gesagt. Kommst du über die Mittellinie, dann breche ich dir das Bein.“

geschätzte Gegner

„Ulf Kirsten, den hab ich gemocht. Der hat mit offenem Visier gekämpft.“

übliche Wochenenden

„Samstag war Abpfiff. Dann ging die Post ab.“

einzigartige Begegnungen

„Ich habe dreimal gegen Maradona gespielt, dreimal gewonnen und seine Trikots.

frühe Versuchung

„Vereine sind prädestiniert, Kinder an den Alkohol zu bringen.“

neue Wertigkeiten

„Jeder Tag, den ich trocken bin, ist mehr wert als irgendein Titel.“