Interview Joachim Streich, TA am 13.05.2017

Kategorie: 
Presseberichte

DDR-Rekordnationalspieler Joachim Streich im Interview: „An Flucht habe ich nie gedacht“

Marko Deicke /Sportreporter Thüringer Allgemeine am  13.05.17

Bad Tabarz. Am kommenden Mittwoch findet im KuKuNa in Bad Tabarz die erste diesjährige Talkrunde des Vereins Fußballzeitreise statt. Zu Gast sind Weltmeister 
Bernd Hölzenbein, RWE-Stürmer 
Carsten Kammlott und der DDR-Rekordnationalspieler 
Joachim Streich. Mit Letzterem sprachen wir.

Mit 66 Jahren, da fängt das Leben an, sang einst 
Udo Jürgens. Bei Ihnen auch?
(Lacht) Ich bin nicht in ein tiefes Loch gefallen, weil ich schon zwei Jahre zu Hause bin und die ein oder andere Veranstaltung besuche. Daher sind wir, meine Frau und ich, oft unterwegs.
Was hatten Sie bis zu Ihrer Rentenzeit gemacht?
Ich war 17 Jahre lang bei SportScheck in Magdeburg, habe dort Sportbekleidung verkauft.
Bei Ihrer ersten Profistation in Rostock verschossen Sie am letzten Spieltag der Saison 1969/70 einen Elfmeter. Daraufhin stieg Hansa ab und sie wechselten den Verein. Hat man Ihnen Ihren Fehlschuss mittlerweile verziehen?
Mir hat man es schon lange verziehen. Sowas macht man ja nicht absichtlich. Aber ich wollte schon damals gerne – das muss man fairerweise sagen – zu einer Spitzenmannschaft wechseln, und das war damals Magdeburg. Dann kam das Entscheidungsspiel in Stralsund. Da habe ich den Elfmeter verschossen, was passieren kann.
Es stand auch ein Wechsel zu Carl Zeiss Jena zur Debatte. Warum scheiterte er?
Jena war mit 
Hans Meyer und dem Umfeld schon sehr professionell aufgestellt. Ich wollte nach Jena wechseln, durfte aber nicht – der Verband verbot es. Ich wollte aber unbedingt zu einer Spitzenmannschaft, und das war dann Magdeburg.
Trotz geplatztem Wechsel wurden Sie in Magdeburg glücklich?
Ja, ich kannte damals auch schon einen Großteil der Spieler. Die Hälfte der Mannschaft waren Nationalmannschaftskollegen. Da gab es überhaupt keine Probleme. Zu meiner aktiven Karriere hatte ich eine sehr schöne Zeit.
102 Länderspiele bestritten Sie, aber beim prestigeträchtigen Duell gegen die BRD (1:0) fehlten Sie bei der WM 1974. Warum?
Ich hatte im Spiel zuvor gegen Chile nicht meine Leistung gebracht. Im Sport und im Fußball ist es eben so, spielt man nicht so gut, ist man draußen.
  • Joachim Streich (66), der für Hansa Rostock (1969–1975) und den 1. FC Magdeburg (1975–1985) spielte, ist Rekordnationalspieler der DDR mit 102 Länderspielen und 55 Toren. Zudem hält er die Bestmarke an Oberliga-Toren (229). Foto: Jens Wolf/dpaJoachim Streich (66), der für Hansa Rostock (1969–1975) und den 1. FC Magdeburg (1975–1985) spielte, ist Rekordnationalspieler der DDR mit 102 Länderspielen und 55 Toren. Zudem hält er die Bestmarke an Oberliga-Toren (229). Foto: Jens Wolf/dpa

Hätten Sie gerne mal in der Bundesliga gespielt?

Das stand ja nicht zur Debatte. Wir mussten uns mit den Gegebenheiten damals abfinden. Ich hatte die Möglichkeit, in Rostock und Magdeburg die Bundesliga im Fernsehen zu verfolgen. Das hat einen schon gereizt, aber daran zu denken, in der Bundesliga zu spielen, war halt nicht drin. Unsere Fans dachten, ‚oh das ist der Fußball‘. Als man aber später die Möglichkeit hatte, die Spiele zu sehen, da sagten sie auch, ,so schlecht waren wir auch nicht in der Oberliga‘.
Hatten Sie trotzdem daran gedacht, in die BRD zu fliehen?
Nein, ich habe 1971 geheiratet, ein Jahr später kam unsere Tochter. An eine Flucht habe ich nie gedacht. Uns ging es doch damals gut.
Als Trainer waren Sie nur kurzzeitig in Magdeburg und Braunschweig, retteten dann aber 1997 den FSV Zwickau vor dem Abstieg aus der 2. Bundesliga. Warum beendeten Sie Ihre Trainer-Laufbahn?
Ich hatte damals eigentlich mit dem Trainerberuf abgeschlossen. Dann kam eine Anfrage aus Zwickau. Die Verantwortlichen, 
Jürgen Croy und Achim Jungnickel, hatten mich davon überzeugt, dass ich noch mal alles versuchen soll, dass die Mannschaft in der 2. Liga bleibt. Ich habe einen Drei-Jahres-Vertrag unterschrieben – heutzutage eine so lange und undenkbare Laufzeit. Ich wohnte in Zwickau, meine Frau lebte in Möckern bei Magdeburg. Ich war nicht der Typ Mensch, der alleine leben wollte. Ich sagte mir, das kann es nicht gewesen sein. Ich war mein ganzes Leben unterwegs, es gibt auch noch was anderes. Dann habe ich mich entschlossen, nachdem ich mit Zwickau den Klassenerhalt erreicht habe, den Vertrag aufzulösen. Da bin ich den Verantwortlichen von Zwickau noch heute sehr dankbar.
Aktuell hat der FSV Zwickau den Klassenerhalt in der 3. Liga erreicht. Schafft es auch der Ligakonkurrent aus Erfurt?
Ich gehe regelmäßig zu den Heimspielen vom 1. FC Magdeburg. Daher weiß ich, die 3. Liga ist sowas von eng. Man sieht keinen Klassenunterschied bei den Vereinen. Bei Erfurt, wo der Druck noch größer wird, wird es schwierig. Man muss an sich glauben. Wenn der Verein aus der 3. Liga absteigt, fällt er in ein tiefes Loch.
In der 4. Liga ist aktuell der FC Carl Zeiss Jena. Der Verein spielt in der Relegation um den Aufstieg. Gelingt er?
Ich hoffe. Früher hatte ich mit Jena viele Verbindungen gehabt, kenne aus meiner damaligen Zeit noch viele, die in Jena leben, wie 
Lutz Lindemann oder 
Lothar Kurbjuweit. Die Relegationsspiele sind aber ein haariges Ding. Gegen Köln wird es nicht einfach, aber ich drücke Jena die Daumen, denn je mehr Mannschaften wir aus dem Nordostdeutschen Fußball-Verband in der 3. Liga haben, umso mehr Derbys gibt es aus der ehemaligen DDR-Oberliga. Das zieht Zuschauer ohne Ende an. Das ist für alle Vereine ein Gewinn.
Aus ostdeutscher Sicht sorgt gerade RB Leipzig für Furore. Freut Sie das?
Von Anfang an habe ich gesagt, es ist ein Glücksfall für Leipzig, dass sich Investor 
Dietrich Mateschitz für Leipzig entschieden hat. Leipzig war schon immer eine Fußball-Hochburg. Ich habe damals vor 100 000 Zuschauern im Zentralstadion gespielt. Leipzig hat ein Riesenumfeld, Fans die ins Stadion strömen. Viele wissen gar nicht, was drumherum mit ihrer ganzen Jugendarbeit entstanden ist. Ich drücke dem Verein die Daumen, dass der auch mal die großen Mannschaften ins Leipziger Stadion bekommt.
Sie als ehemaliger Mittelstürmer können es einschätzen: Wer ist aktuell der beste deutsche Angreifer?
In vielen Spitzenvereinen spielen mittlerweile ausländische Spieler. In der Nationalmannschaft sehen wir die Probleme mit den Stürmern. 
Mario Gomez macht seine Tore in einer mittelmäßigen Mannschaft in WolfsburgLeipzigs 
Timo Werner, der noch langsam aufgebaut werden muss, könnte für die Zukunft einer sein. Es sieht aber momentan recht mau aus. Deutsche Stürmer, die internationales Spitzenniveau verkörpern, gibt es kaum.
 
Talkrunde am 17. Mai,19.30 Uhr, in der KuKuNa Bad Tabarz, Lauchagrundstraße 12 a. Tickets zum Preis von 19 Euro:
Touristinformation Tabarz (Telefon 036259-5600) oder bei der Fußballzeitreise (Telefon 0172-5722150) sowie online unter www.fussballzeitreise.de